Eine polonisierte ukrainische Adelsfamilie und die romhörigen Bischöfe, die sie hervorgebracht hat
Vor knapp zwei Wochen wiesen wir hier auf dem Blog auf die religionspolitischen Machtverhältnisse und Spannungsverhältnisse zwischen Rußland und "dem Westen" hin, die darin bestehen, daß die ukranisch-orthodoxe Kirche sich der Oberherrschaft des Papstes in Rom unterstellt hat, daß dies aber der Patriarch in Moskau keineswegs getan hat (1).
Wie nun diese religionspolitischen Machtverhältnisse in der Ukraine gelagert sind, kann auch noch einmal geschichtlich sehr gut an dem Metropoliten von Lemberg Andrej Scheptyzkyj (polnisch Andrzej Szeptycki; 1865-1944) (Wiki) erläutert werden, dessen Amtsbereich in Ostpolen ab 1939 von den Sowjets und ab 1941 von den Deutschen besetzt worden war, und der einerseits die Aufstellung einer ukrainischen SS-Divsion unterstützte, andererseits aber zugleich versuchte, Judenmorde in der Ukraine zu verhindern. Als Metropolit war er klar dem Papst in Rom unterstellt. Er berichtete deshalb auch an diesen über die Lage in seinem Bistum.*) Scheptyzkyj stammte aus einem nicht uninteressanten polonisierten ukrainischen Adelsgeschlecht (Wiki):
"Am 22. August 1892 empfing Scheptyzkyj im griechisch-katholischen Ritus die Priesterweihe. Er studierte im Jesuitenseminar von Krakau und promovierte im Jahr 1894 zum Doktor der Theologie. (...) Papst Leo XIII. bestätigte die Ernennung am 19. Februar 1899. (...) Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde der Metropolit festgenommen und in mehreren Orten der Ukraine und Rußland inhaftiert."
Schon das Russische Kaiserreich war also voller Mißtrauen gegenüber der ukranisch-orthodoxen Kirche. Das wird man bemerkenswert finden dürfen. Die Inhaftierung könnte aber auch damit zusammenhängen, daß der Vater des Metropoliten Abgeordneter des österreichischen Reichsrates gewesen war.
Und es könnte damit zusammen hängen, daß der zwei Jahre jüngere Bruder Stanislaw (Wiki) Offizier der k.u.k.-Armee, der "Polnischen Legion" und nachmals auch führender Offizier der polnischen Armee in ihrem Krieg gegen die Rote Armee in Minsk im Jahr 1919 war. Danach ist dieser übrigens der Partei des imperialistischen, deutschfeindlichen Roman Dmowski in Polen beigetreten.
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Abb. 1: Er litt um der imperialistischen Machtgier des Papsts in Rom willen in sowjetischen Gefängnissen: Der Exarch von Rußland Klemens Scheptyzkyj (Wiki) |
1939 - "Exarch von Rußland" - Religionspolitischer Ausgriff von Lemberg aus Richtung Moskau
Zeitsprung: 1939, nach der Besetzung Ostpolens durch die Sowjetunion, wurde Klemens Scheptyzkyj interessanterweise von seinem Bruder Andrej nominell zum "Exarch von Rußland" (Wiki) ernannt. Ein mehr als auffallender Vorgang.
Ein solcher Exarch müßte seinen Sitz eigentlich in Moskau haben und damit in Konkurenz stehen zum dortigen russisch-orthodoxen Patriarchen. Aber es gab - und gibt - für dieses Amt bis heute keine Organisationstrukturen. Dafür fehlen in Rußland sowohl die Priester wie die Gläubigen. Sicherlich gibt es weitere Gründe dafür, daß diese Stelle des "Exarchen von Moskau" nach 1951 vakant geblieben ist. Sie dürfte nicht darin liegen, daß die religionsimperialistische Machtgier des Papstes von Rom abgenommen hätte seither.
Klemens Scheptyzkyj war es dann, der mehr noch als sein Bruder nach 1941 vielen ukrainischen Juden das Leben gerettet hat.
1944 - Religionspolitischer Ausgriff von Moskau Richtung Lemberg
Aber hören wir nun den noch viel interessanteren weiteren Verlauf und das Schicksal von Klemens Scheptyzkyj (Wiki):
"Mit der Wiederkehr der Sowjets 1944 wurde eine koordinierte Aktion gestartet, um die Kirche (in der Ukraine) zu zerstören und in das Moskauer Patriarchat einzuverleiben. (...) 1947 wurde er (...) in Kiew nach seiner unerschütterlichen Verweigerung, seinen Glauben aufzugeben und dem Moskauer Patriarchat zu dienen, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt."
Er starb 1951 im Gefängnis. Hier kann man zur Kenntnis nehmen, daß das Moskauer Patriarchat schon in Sowjetzeiten und mit Unterstützung des Staates (!) religionsimperialistisch gegenüber der ukrainischen Kirche auftreten konnte.
Der Großvater mütterlicherseits der hier genannten drei Brüder Scheptyzkyj war übrigens einer der bedeutendsten Komödienautoren Polens. Das Leben dieser drei Brüder macht mit religionspolitischen und religionsgeschichtlichen Vorgängen und Verhältnissen bekannt, die nur wenigen Menschen bekannt und bewußt sein dürften.
1989 - Der Jesuit Otto Messmer in Gottesdiensten bei den Rußlanddeutschen
Ein weiterer Zeitsprung: 1989. Indem wir auf diese drei Brüder hinweisen, können wir nämlich auch noch auf eine andere, diesmal deutsche Familie hinweisen, deren einer Angehöriger sich - womöglich - um der imperialistischen Machtgier des Papstes in Rom willen 2008 sogar ermorden ließ. Darauf hatten wir in einem älteren Blogartikel ausführlich hingewiesen (3). Zwischenzeitlich haben wir diesen älteren Blogartikel um neuere Erkenntnisse zu der darin behandelten Familie Messmer ergänzen können. Und das sei nun auch in den vorliegenden Blogartikel mit eingebunden.
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Abb. 2: Szene aus der Dokumentation von 1989 mit Otto Messmer SJ während eines Gottesdienstes für Litauer (4) |
Die katholische Kirche betreibt seit Jahrzehnten eine sogenannte "Ostpriesterhilfe", die letztlich Rekatholisierung in Rußland und anderen osteuropäischen Ländern betreibt. Diese "Ostpriesterhilfe" betreibt neuerdings einen reich bestückten Youtube-Kanal. Und auf diesem findet sich seit 2020 eine Film-Dokumentation aus dem Jahr 1989, in der ab Minute 21'54 über die seelsorgerische Arbeit des im Jahr 1989 28-jährigen Jesuiten Otto Messmer in verschiedenen katholischen Gemeinden in Rußland berichtet wird. Einleitend heißt es dazu in ihr (4):
Es gibt wenige so glaubensstarke Familien wie die Messmers. Von den neun Kindern der Witwe sind fünf Söhne Priester geworden.
Von diesen fünf katholischen Priestern scheinen drei Jesuiten geworden zu sein (siehe gleich). Otto Messmer nimmt in den Filmsequenzen die Beichte ab, er segnet, er verteilt Oblaten und so weiter. Die unterwürfigen Blicke, mit denen die Gläubigen der von Messmer betreuten Gemeinden auf diesen Otto Messmer blicken, sein "hoheitsvolles" Gebaren, sein arroganter, verachtender Blick, all das läßt einen mehr als befremdlichen Eindruck zurück (Abb. 2).
Solch ein beklemmendes katholisches, kirchliches Leben hat es in Europa oft noch bis lange nach 1945 gegeben. Und wer weiß, ob das nicht auch heute noch vergleichsweise weit verbreitet ist. Trotz all der "Querelen", die die Öffentlichkeit der westlichen Welt mit der katholischen Kirche hat. In einem Nachruf auf Nikolaus Messmer, einen der Brüder von Otto Messmer, wird 2016 aus dem Nachruf auf Otto Messmer in der Jesuiten-Zeitschrift "Weltweit - Das Magazin der Jesuitenmission" aus dem Jahr 2006 zitiert (pdf; sowie: Katholisches 7/2016):
Seine Eltern sind ein Zeugnis dafür, wie Rußlanddeutsche unter den Sowjets im Untergrund an ihrem Glauben festhielten und ihn an ihre Kinder weitergaben. Die Eltern stammen aus Speyer bzw. Kandel im Schwarzmeergebiet und wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem sogenannten Warthegau wieder in die Sowjetunion deportiert. Es gelang ihnen, sich bis nach Karaganda durchzuschlagen, dem Zentrum der katholischen Untergrundkirche. Dort wurden Otto und auch alle seine 5 Brüder und 3 Schwestern geboren. Geprägt wurde Otto durch den litauischen Jesuitenpater Albinas, der nach seiner Zeit im Gefängnis in Sibirien von 1975 an auch in Karaganda wirkte. Pater Albinas gründete das Noviziat im Untergrund, in das auch Otto eintrat.
Das sind also jene Katholiken, denen Klemens (Klymentij) Scheptyzkyj (1869-1951) (Wiki) seit 1939 "Exarch von Rußland" hätte sein sollen - wenn er denn hätte können und wenn die Übertritte von Priestern von der katholischen Kirche zur ukrainisch-orthodoxen Kirche ebenso leicht möglich gemacht worden wären wie sie an der Familie Scheptyzkyj sichtbar sind.
Der hier erwähnte Pater Albinas äußert sich übrigens auf Youtube ebenfalls kurz über das Gemeindeleben in Karaganda (Yt). Sein Wirken wird auf Wikipedia herausgestellt (Wiki).
Bezeichnenderweise heißt der Kanal von "Kirche in Not / Ostpriesterhilfe" heute immer noch "Kirche in Not" statt "Kinder in Not" .... Man findet da ganz aktuelle Videos mit so bigotten und glaubenskämpferischen Titeln wie:
- "Chinas Katholiken - Avantgarde des neuen China?"
- "Die Ukraine, eine Hochburg der Ökumene" (in drei Teilen) (Ökumene also wie sie schon von den Brüdern Scheptyzkyj gelebt worden war ....)
- "Verfolgung zu erleiden, ist ein Privileg"
- "Politischer Machtkampf oder religiöser Eifer" (keine Analyse von Katholizismus, sondern vom Islam)
- "Weißrußland: Same unter den Dornen"
- "Neue Wege der Evangelisierung" (sprich der Mission, Gegenreformation und Geistesknechtung)
- "Kirchenkrise und kein Ende - Laufende Medienkampagnen gegen die Kirche"
- "Der Zölibat, kein Joch, sondern ein Geschenk"
Allein diese wenigen Titel zeigen, auf was für eine fremdartige und verquere Geisteswelt man hier stößt. Sogar die alte Christa Meves kommt auf dem Kanal mehrfach zu Wort, der vormalige Geheimkatholik Klaus Berger, der Vorstreiter kinderreicher Familien Jürgen Liminski. All das kann man sich nur mit der aller größter Beklemmung ansehen.
*) In der Ukraine wurde der Einmarsch der Deutschen und die Befreiung vom Kommunismus bekanntlich zunächst mit überschwenglicher Freude und Begeisterung begrüßt. Vor allem auch angefeuert durch den Metropoliten von Lemberg gründeten die ukranisch-nationalistischen Kreise rund um Stefan Bandera (1909-1959) (Wiki) einen unabhängigen ukranischen Staat (2):
Der Segen und die Zustimmung des Metropoliten waren für die Befürworter und Drahtzieher der damaligen Ereignisse von "überragender politischer und moralischer Bedeutung". Sie galten für sie retrospektiv als eine Art Legitimation ihrer Handlungen und als Bestätigung der Richtigkeit dieses Schrittes.
Diese Aussage wird nur dahingehend eingeschränkt als darauf hingewiesen wird, daß der Metropolit von Lemberg die heidnischen Tendenzen der Bandera-Bewegung zugleich auch kritisch gesehen hat (2). Die Staatsgründung durch die ukranischen Nationalisten wurde durch die deutschen Nationalsozialisten sowieso für ungültig erklärt. Über den Metropolit Andrej Scheptyzkyj erfahren wird dann (2):
Etwa acht Monate nach dem Beginn (...) der deutschen Besatzung Galiziens begann sich bei Sheptytskyj eine Wende in seiner Einstellung zum deutschen Regime und dessen Politik zu vollziehen. (...) Spätestens im Februar-März 1942 verschwindet in Sheptytskyjs Schreiben der anfängliche Optimismus allmählich. Exemplarisch für diese Stimmungs-Änderung ist die bittere Feststellung Sheptytskyjs im Brief an Pius XII. vom 28. März 1942: Als irreführend bezeichnete er in dem Schreiben, daß die Deutschen vorgetäuscht hätten, die Ukrainer seien ihre „Freunde“ und „Verbündete“. Er behauptete, bereits wenige Wochen nach dem Beginn der deutschen Besatzung erkannt zu haben und sich seitdem „hunderte Male“ überzeugt zu haben, daß alles gelogen wäre.
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- Bading, Ingo: Warum zündelt Weißrußland mit einer "Migrationskrise"? 15.11.2021, https://studgenpol.blogspot.com/2021/11/ruland-in-seinem-spannungsverhaltnis.html
- Andriy Mykhaleyko: Metropolit Andrey Graf Sheptytskyj und das NS-Regime. Zwischen christlichem Ideal und politischer Realität. Brill, Schöningh, 22 Nov 2019, https://www.schoeningh.de/view/title/55672
- Bading, Ingo: 2008 in Moskau brutal ermordet - Der oberste Jesuit Rußlands, 2010, https://studgenpol.blogspot.com/2010/03/ermordet-im-kampf-fur-den-rechten.html
- Gyöngyössiy, Imre u.a.: Katholiken in Sowjet-Mittelasien. Kirche in Not / Ostpriesterhilfe in Zusammenarbeit mit der Satellit-Film GmbH 1989 [auf Youtube seit 2020], https://youtu.be/e36jLnt3mKM.